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Berlin has fallen

Am 12. März 2024 verbreitete KuchenTV den Tweet eines rechtsradikalen Twitter Accounts. In dem Tweet ist der Ausschnitt einer Rede der Abgeordneten Katalin Gennburg (Die Linke) zu sehen, sowie die Beschriftung:

„Penisträger|innen…? Ernsthaft? Und was sagst du? Previlegierter als Sitzpinkler|innen?“[sic!]

KuchenTV kommentierte seinen Retweet mit:

„Berlin has fallen“.

In ihrer Rede vom 7. März 2024 kritisierte die Abgeordnete, dass die Nutzung von Pissoirs öffentlicher Toiletten in Berlin zum Teil kostenlos sei, während Menschen, die nur im Sitzen urinieren können, Geld für die Toilettennutzung bezahlen müssen.

In dem von KuchenTV retweeteten Redeausschnitt des Twitter Accounts @nomainstream69 wurde das Ende der Rede abgeschnitten, in dem die Ungleichbehandlung bei der Kostenpflichtigkeit kritisiert wird. In dieser verkürzten Version dient das Video der Verächtlichmachung von trans, inter und queeren Menschen und deren Sichtbarmachung durch die Skandalisierung der Begriffe „Penisträger*innen“ und „Sitzpinkler*innen“.

Mit der Verwendung dieser Begrifflichkeiten und der Ergänzung „wer ein Pissoir benutzen kann, weil er körperlich so gebaut ist“ berücksichtigt die Abgeordnete, dass sich der Vorteil nicht nur für Cis-Männer ergibt, und dass sich die Benachteiligung nicht nur für Cis-Frauen ergibt. So sind auch:

  • trans und inter Personen, die Pissoirs nutzen können,
  • trans und inter Personen, die Pissoirs nicht nutzen können,
  • und Menschen, die aufgrund einer Behinderung, Erkrankung oder aus anderen Gründen keine Pissoirs nutzen können, mitgemeint.

In ihrer vollständigen Rede bezog sich Katalin Gennburg auf einen Antrag ihrer Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus zum Ausbau und der kostenfreien Nutzung öffentlicher Toiletten.

Der von KuchenTV retweetete, manipulativ gekürzte Ausschnitt möchte den falschen Eindruck vermitteln, die Abgeordnete würde die Benachteiligung darin sehen, dass Sitzpinkler*innen nicht das Privileg hätten, Pissoirs zu nutzen.

Die Abgeordnete wies KuchenTV einen Tag später mit einem Twitter Kommentar auf die manipulative Verkürzung ihrer Rede hin und verlinkte auf die vollständige Rede.

https://twitter.com/die_gennburg/status/1767965328665878651

KuchenTV reagierte nicht auf diesen Hinweis, löschte seinen Retweet nicht und veröffentlichte keine Korrektur.

Die Resonanz

KuchenTVs retweet des Videos wurde 169.937 Twitter Nutzer*innen angezeigt. Er erreichte 1,465 Likes, 146 Lesezeichen, 71 Reposts und 105 Kommentare.

Hinweise auf Ironie sind in dem Retweet von KuchenTV nicht zu erkennen. Die Kommentare zu seinem Retweet zeigen, dass der Tweet von KuchenTV nicht ironisch interpretiert wurde. Die mit dem manipulativen Videoausschnitt durch den rechtsradikalen Twitter Account bezweckte Botschaft ist auch bei den Kommentierenden unter KuchenTVs Retweet angekommen.

Neben derartigen Kommentaren, sind unter dem Retweet von KuchenTV viele Hasskommentare zu finden. Darin wird die linke Abgeordnete als „die Alte“, „geisteskrank“,  „bösartig“ und „drecks feind“ beschimpft. Ein Nutzer schreibt „Tötet es bevor es Eier legt…“.

Katalin Gennburg wurde unterstellt, Teil einer Sekte zu sein, es wurde bedauert, dass die „Irrenhäuser voll belegt sind“, sie wurde als „Mongo“ beschimpft und als „Antifantin“ bezeichnet. Dies ist eine unter Rechtsextremen populäre Bezeichnung für Antifaschist*innen. Eine Person kommentierte:

„Penisträger*innen, Alder ich fick diese Nutt*innen innen* Arsch!“[sic!]

Die Existenz von trans und inter Personen wurde geleugnet, Gendern als „für den Müll“ bezeichnet, es wurde sich die Mauer zurück gewünscht, Deutschland wurde als „gefallen“ betrachtet und es wurde zur Wahl der rechtsextremen AfD aufgerufen.

Eine Moderation der Kommentare durch KuchenTV ist nicht erkennbar.

Der Kommentar einer Person, der einen Hinweis darauf enthielt, dass es sich bei dem retweeteten Account um einen rechtsextremen Account handle, veranlasste KuchenTV nicht dazu, seinen Retweet zu überdenken.

Die Quellen

Woher das Video ursprünglich stammt, ist an der Einblendung des Instagram Accounts erkennbar.

Das Video stammt von dem rechtsextremen Instagram Kanal Deutschland_hautnah.

Das Video ist mit den folgenden Hashtags versehen:

„#armesdeutschland #umwandlung #transformation #transformer #mannfrau #fraumann #transfrau #transmann #absurd #lächerlich #identität #ideologie #umpolen #kritischdenken #previlege #daswichtigste #pissuar #stehen #sitzen #aufklo“[sic!]

Beide Accounts, der Instagram Kanal Deutschland_hautnah und der Twitter Account @nomainstream69, der das Video auf Twitter weiterverbreitet hat, veröffentlichen vorwiegend rassistische Hassinhalte, werben für die rechtsextreme AfD, verbreiten Hassinhalte gegen LGBTQIA+ und unterstützen das von der als rechtsextrem eingestuften Identitären Bewegung verfolgte Ziel der „Remigration“.

Geflüchtete werden mit den in der rechtsradikalen Szene populären Bezeichnungen „Goldstücke“ und „Fachkräfte“ sarkastisch abwertend bezeichnet, während sie als Kriminelle und „Sozialschmarotzer“ dargestellt werden.

Der Kanal Deutschland_hautnah verbreitet die rechtsextreme Erzählung eines angeblichen „großen Austauschs“ der deutschen Bevölkerung durch Geflüchtete. Das Lied „Erika“ wird von dem Kanal in einem Meme verwendet. Das Marschlied des bedeutendsten NS-Marschliedkomponisten Herms Niel, das Ende der 1930er Jahre entstand, hatte eine zentrale Funktion in der NS-Propaganda und wird in der rechtsextremen Netzkultur häufig als Meme verwendet, da die Verwendung nicht verboten ist und damit eine positive Bezugnahme auf den Nationalsozialismus und die Wehrmacht transportiert werden kann.

Die Auswirkungen

KuchenTVs als zustimmend interpretierte Verbreitung des Tweets bedeutet für den rechtsradikalen Twitter Account und für den in dem Video gezeigten rechtsextremen Instagram Account eine Erhöhung der Sichtbarkeit. Der Retweet von KuchenTV trug dazu bei, dass mindestens 169.937 zusätzliche Twitter Nutzer*innen auf diesen rechtspopulistischen Inhalt und auf die beiden Kanäle aufmerksam gemacht wurden. Der originale Tweet wurde insgesamt 424.019 Twitter Nutzer*innen angezeigt.

KuchenTV spricht mit einigen seiner Social Media Inhalten rechtsradikale Resonanzräume an. Das tat er zum Beispiel auch mit einem Video, in dem er den rechtsextremen Gesang „Ausländer raus“ als „verbotenen Ohrwurm“ darstellte, bei dem er sich zurückhalten müsse, nicht mitzusingen. Rechtsextreme sahen sich durch diesen Social Media Inhalt KuchenTVs dazu ermutigt, KuchenTV zuzustimmen, massenhaft „Ausländer Raus“ zu kommentieren und weitere rechtsextreme Kommentare zu hinterlassen.


07. August 2024

In seinem YouTube Video „Die KUCHENFILES, das ENDE meiner KARRIERE – Kuchen Talks #997″ vom 7. August 2024 sagte KuchenTV über diesen Artikel:

„Gleichzeitig wird bei einem Twitter Post von mir aber kritisiert, dass ich es einen Tag später nicht mitbekommen habe, dass die besagte Politikerin unter diesem Beitrag kommentiert hatte. Ja, wie kann ich als Influencer mit ’ner Millionenreichweite nur nicht jeden Kommentar und jede Verlinkung überall mitbekommen? Das ist unfassbar. Vor allem bei einem Tweet, der drei Likes hat. Ja, also das hätte mir sofort ins Auge fallen müssen. Ihr beschwert euch hier, dass ich das nicht mitbekommen habe, während ihr selber doch überhaupt nicht recherchiert und versucht, mich so negativ wie möglich dastehen zu lassen. Aber zu dem Post eben. Ja ok, ich habe den gelöscht, ich habe den entfernt. Dann könnt ihr das jetzt ja auf eurer Seite dazuschreiben, oder nicht?“

KuchenTV hat den diskutierten Tweet gelöscht.

Er erklärte in seinem Video nicht, warum er den Post entfernt hat. Ein Fehlereingeständnis fehlt bislang ebenfalls. Auch auf seinem Twitter Account, von dem er den Retweet gelöscht hatte, gab er keine Erklärung zu dieser Löschung ab, die auch für seine Follower*innen erkennbar gemacht hätte, was ihn zur Löschung des Beitrags veranlasste und welche politischen Motive hinter der manipulativen Verkürzung des Videos steckten.

KuchenTV sieht keine Möglichkeiten, die vielen Kommentare unter seinen Social Media Beiträgen zu moderieren, obwohl sein öffentlicher Auftritt und die von ihm vermittelten finanziellen Möglichkeiten eine Moderation durch Dienstleister*innen als möglich erscheinen lassen.

Eine über den zitierten Abschnitt hinausgehende Auseinandersetzung mit den Inhalten dieses Artikels enthält KuchenTVs Video leider nicht.